Brüning

Brüning
Brüning,
 
1) Heinrich, Politiker, * Münster 26. 11. 1885, ✝ Norwich (Vermont) 30. 3. 1970; studierte Jura, Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft; politisch schloss er sich dem Zentrum an. Er arbeitete eng mit A. Stegerwald zusammen, v. a. als Geschäftsführer (1921-30) des (christlichen) Deutschen Gewerkschaftsbundes. 1924-33 war Brüning Mitglied des Reichstags, 1929/30 und 1932/33 Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Reichstag. Als Finanzfachmann seiner Fraktion setzte er 1925 die Begrenzung des Lohnsteueraufkommens auf 1,2 Mrd. Reichsmark durch (Lex Brüning).
 
Nach dem Sturz der Regierung H. Müller wurde Brüning am 28. 3. 1930 Reichskanzler; er bildete eine vom Vertrauen des Reichspräsidenten P. von Hindenburg getragene Minderheitsregierung. Als der Reichstag das Programm Brünings zur Deckung des Reichshaushalts im Juli 1930 ebenso abgelehnt hatte wie die zum selben Zweck erlassenen Notverordnungen, löste Brüning noch im selben Monat den Reichstag auf. Nach den Wahlen vom September 1930, die der NSDAP große Stimmengewinne brachten, regierte Brüning, gestützt auf die Mittelparteien, parlamentarisch toleriert von der SPD, bei äußerster Verschärfung der Wirtschaftskrise nun auf der Grundlage des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten (Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung). Auf dieser Basis entwickelte sich die Regierung Brüning zu einer »parlamentarisch tolerierten Präsidialregierung«.
 
Mit seiner auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt zielenden Deflationspolitik (fortgesetzte Anpassung der Staatsausgaben an den Schrumpfungsprozess der Wirtschaft; Lohn- und Gehaltssenkungen) suchte Brüning die Wirtschaftskrise zu bekämpfen und als Hebel für die Beseitigung der deutschen Reparationsverpflichtung nach dem Youngplan zu nutzen, indem er deren Unerfüllbarkeit offenkundig machen wollte. Brüning wartete auf den Erfolg dieser Reparationspolitik, um anschließend die im Plan fertig gestellten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu realisieren. Dem zunehmend erfolgreichen außenpolitischen Kurs stand jedoch innenpolitisch das von seiner Deflationspolitik stark mitzuverantwortende Ansteigen der Arbeitslosigkeit (auf über 6 Mio. Erwerbslose) und der Massenzulauf zu den Kräften der äußersten Rechten (NSDAP) und Linken (KPD) gegenüber, das heißt die Verschärfung der innenpolitischen Krise.
 
Seit Sommer 1931 kam es zu einer Entfremdung zwischen Brüning und Hindenburg. Da Brüning zunehmend seine Politik mithilfe der SPD durchzusetzen suchte, sah sich Hindenburg in seiner Hoffnung auf einen Rechtskurs der Regierung getäuscht. 1932 setzte Brüning politisch die Wiederwahl Hindenburgs als Reichspräsident mithilfe der SPD gegen die politische Rechte durch. Hindenburg warf Brüning ungenügende Unterstützung der ostdeutschen Großlandwirtschaft vor. Bestärkt von General K. von Schleicher und großagrarischen Kräften Ostdeutschlands, entließ Hindenburg am 30. 5. 1932 Brüning. Der Sturz Brünings leitete das Ende der Weimarer Republik ein.
 
Nach Errichtung der Diktatur A. Hitlers (30. 1. 1933) konnte sich Brüning 1934 der Verhaftung durch Flucht in die Niederlande entziehen. Er emigrierte in die USA und wurde dort 1937 Professor für Verwaltungswissenschaften an der Harvard University. 1951-55 war er vorübergehend in Deutschland, 1951-54 Professor für politische Wissenschaften in Köln.
 
Werke: Reden und Aufsätze eines deutschen Staatsmannes, herausgegeben von W. Vernekohl und R. Morsey (1968); Memoiren 1918-34, herausgegeben von T. Kampmann (1970); Briefe und Gespräche, 1934-45, herausgegeben von Claire Nix (1974); Briefe 1946-60 (1974); Reichstagsreden (1974).
 
 
R. Morsey: B. u. Adenauer (21972);
 
Politik u. Wirtschaft in der Krise 1930-1932. Quellen zur Ära B., bearb. v. I. Maurer u. a., 2 Bde. (1980);
 C.-L. Holtfrerich: Alternativen zu B.s Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise (1982);
 
Dtl. (Dt. Reich). Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette B., hg. v. K. D. Erdmann u. H. Booms, 3 Bde. (1982-90);
 K. D. Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik (71984);
 
Die dt. Staatskrise 1930-1933, hg. v. H. A. Winkler u. a. (1992);
 Gerhard Schulz: Zw. Demokratie u. Diktatur, Bd. 3: Von B. zu Hitler. Der Wandel des polit. Systems in Dtl. 1930-1933 (1992);
 Frank Müller: Die B. Papers (1993).
 
 2) Peter, Maler und Grafiker, * Düsseldorf 21. 11. 1929, ✝ Ratingen 25. 12. 1970; schuf in den 50er-Jahren informelle Kompositionen, in den 60er-Jahren entstanden Bilder synthetischer Landschaften aus der Vogelperspektive und Objekte, die von Signalen (kartographische Zeichen, Verkehrszeichen) durchsetzt sind und der Pop-Art nahe stehen.

Universal-Lexikon. 2012.

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